Wo?
Zwischen den RWE-Kraftwerken Neurath, und den Ortschaften Sinsteden und Vanikum befindet sich eingegrenzt durch eine Industriebahnlinie ein Areal, auf dem nach ursprünglicher Planung und Genehmigung von 2003 nicht nur die zwei uns bekannten Kraftwerke vom Typ BoA sondern insgesamt sechs Kraftwerke hätten entstehen sollen. Zum Glück ist es dazu nie gekommen. Derzeit sind diese Grundstücke brach liegend oder landwirtschaftlich genutzt.
In der Gemeinde Rommerskirchen werden insbesondere die Ortsteile Sinsteden und Vanikum unter der zusätzlichen Ansiedelung von Großindustrie zu leiden haben. Völlig ungeklärt sind Fragen zur Wasserver- und Entsorgung, zu Immissionen und dabei insbesondere Lärm sowie zur infrastrukturellen Anbindung. Denn vor allem die Nutzung der bestehenden Bundesstraßen wird erheblich zunehmen und spätestens wenn Lieferungen Güter-und Pendlerverkehr zum/vom Rhein, nach Dormagen oder in den Kölner Norden erfolgen, werden B477 und B59 aus allen Nähten platzen. Die versprochene Nutzung der Schienenanbindung ist Augenwischerei. Man kann auf einem Bahngleis nicht einfach links abbiegen oder anhalten und wenden. Wie die vorhandenen Straßen sind auch die derzeit existierenden Bahnstrecken nicht auf zusätzliche Kapazitäten für Güter- und Pendlerverkehr ausgelegt und eine Gleisanbindung vom Kraftwerk nach Osten oder nach Grevenbroich existiert nicht. Ganz abgesehen davon ist die Industriebahnlinie in Privatbesitz und eine andere Nutzung ist durch das Eisenbahnbundesamt (noch) gar nicht freigegeben.
In Grevenbroich kann man kein Areal für die Ansiedlung von Industrie finden, das noch näher an der Gemeindegrenze und ferner vom Zentrum liegt. Und bei gewerblicher Nutzung würden die Auswirkungen auf den Durchgangsverkehr und entstehende Immissionen die eigenen Siedlungen nirgendwo weniger stören. Selbstverständlich ist man in Grevenbroich glücklich über ein solches Filetstück, dennoch agiert man dort zumindest derzeit bei der Bewerbung um Projekte im Strukturwandel generell eher zögerlich.
Was?
Es gibt inzwischen viele Namen für das Vorhaben, zusätzlich zu den RWE-Kraftwerken weitere Großindustrie in Rommerskirchen anzusiedeln: „Batteriefabrik“, „Kraftpark Nordrevier“, „Kraftwerksareale Neurath-Frimmersdorf“ oder schlicht „Siedlungsbereich für Gewerbe“.
Das Zugrunde liegende Areal liegt zu ca. 1/3 auf Rommerskichener Gemeindegebiet und zu 2/3 in Grevenbroich.
Die Bezirksregierung Düsseldorf hat am 11.06.2020 im Amtsblatt gemäß Raumordnungsgesetz über die beabsichtigte 5. Änderung des Regionalplanes unterrichtet. Demnach soll für die betreffenden Flächen die Zweckbindung „Kraftwerke und Nebenbetriebe“ aufgehoben werden und es verbleibt eine Darstellung als „Bereich für gewerbliche und industrielle Nutzungen“.
Es sollen durch die Ansiedlung von maximal 2-3 industriellen Großbetrieben insbesondere Arbeitsplätze geschaffen werden, die angeblich an anderer Stelle durch den Strukturwandel verloren gehen. Weder zu den tatsächlichen Arbeitsplatzverlusten – insbesondere in Rommerskirchen – noch zu der Anzahl und Qualifikation neu geschaffener Arbeitsplätze gibt es belastbare Berechnungen.
Wann?
Die Kraftwerke vom Typ BoA laufen nach derzeitigem Planungsstand der Kohlekommission noch bis 2038. Das alte Kraftwerk Frimmersdorf wird als erstes aus der Sicherheitsbereistschaft ausscheiden und 2021 Platz für eine andere Nutzung machen. Ende 2022 gehen die älteren Kraftwerksblöcke Neurath zunächst – wie Frimmersdorf – in die Sicherheitsbereistschaft. Erst ab 2024 kann das alte Kraftwerk Neurath zurückgebaut werden und erst dann können die erschlossenen Flächen wieder für eine andere Nutzung frei gegeben werden. Dr. Martin Mertens möchte eine Entwicklung des neuen Industriegebietes aber schon bis 2022 vorantreiben. Lange bevor die Kraftwerke final abgeschaltet sind und lange bevor eventuell Industriearbeitsplätze in signifikanter Summe im Sinne des Strukturwandels benötigt werden. Ganz abgesehen davon ist der Wechsel von industrieller Produktion in der Braunkohleverstromung zu industrieller Produktion in der Energiespeicherung kein Strukturwandel. Das ist das Beibehalten des Status Quo und ein ganz klares weiter-so-und-noch-mehr-davon.
Wer?
Wir möchten hier gar nicht in Abrede stellen, dass Dr. Martin Mertens bislang einen guten Job in Rommerskirchen gemacht hat und sehr wahrscheinlich auch nach den Kommunalwahlen 2020 fest im Bürgermeistersessel sitzen wird. Aber zusammen mit den Bürgermeistern der Nachbargemeinden („Rheinisches Sixpack“) wird mit der Idee einer zusätzlichen Ansiedlung von Großindustrie ein Irrweg begangen.
Bisher sind die Reaktionen der Bürger*innen auf die Planung eher verhalten ausgefallen. Es verwundert schon, dass Anwohner, die trotz mehrfacher Hinweise auf die sehr bald drohende und nicht mehr rückgängig zu machende Versiegelung von hochwertigen landwirtschaftlichen Böden, auf die Bebauung von mindestens 300 ha direkt vor ihrer Haus- und Gartentür mit einem Schulterzucken reagieren.
Denn auch der amtierende Bürgermeister wird zugeben müssen, dass er zum heutigen Stand noch keine Expertise im Themenfeld Strukturwandel und Raumplanung hat – das mag in 10 Jahren anders sein. Deshalb werden unter Zuhilfenahme von Agenturen und Beratern (allocate GmbH, ZRR, NRW.Urban) Pläne entwickelt, die vielleicht für das Land NRW oder den Produktionsstandort Deutschland, aber leider nicht für Rommerskirchen oder die Region einen erkennbaren und vor allem nachhaltigen Nutzen bringen. Kleiner Hinweis an dieser Stelle: Nachhaltig bedeutet länger als 5 Jahre bis zur nächsten Wahl.
Haben wir eine Alternative?
Selbstverständlich! Dazu ist es aber wichtig, eben nicht den Status Quo zu verwalten und hier und da nachzubessern, sondern mutig und innovativ Klimaschutz, Naturschutz und sozialen Zusammenhalt zu stärken. Wir wollen keine Subventionierung von umweltschädlichen Großprojekten in Rommerskichen. Stattdessen sollen mehr Mittel in die Förderung nachhaltiger Mobilität, Digitalisierung, handwerkliche Ausbildung, mittelständische Unternehmen und in den lokalen Absatz investiert werden.
In seiner 6-Jahres Bilanz zeigt sich Herr Dr. Mertens zu Recht stolz auf rund 600 Arbeitsplätze, die durch Ansiedelung von Inhaber- oder Familien-geführten, von kleinen bis mittelständischen Unternehmen geschaffen wurden. In Summe bilden gerade solche Unternehmen eine wirtschaftliche Vielfalt und sind dadurch besonders krisensicherer und viel besser aufgestellt als einzelne Großunternehmen: Wenn ein Großunternehmen in wirtschaftliche Schieflage gerät, sind gleich hunderte oder tausende Arbeitsplätze in Gefahr. Schwächen in einem kleinen Unternehmen können hingegen viel schneller an anderer Stelle aufgefangen werden und viele kleinere Betriebe schaffen mindestens so viele Arbeitsplätze wie eine viele Hektar große Fabrik. Dabei bieten sie aber den Vorteil, dass die Gewerbesteuer auch in der Region bleibt, wohingegen bei Großunternehmen die Gewerbesteuer am Firmensitz und eben nicht an der Produktionsstätte abgeführt wird.
Die Entwicklung einer Region und die Bewältigung der Aufgaben im Prozess des Strukturwandels braucht Zeit und darf nicht zum Spielball von Aktionismus werden. Und wir sollten aus den anfänglichen Fehlern lernen, die beim Strukturwandel in anderen Regionen bereits vor vielen Jahren gemacht wurden, anstatt diese zu wiederholen.
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