Die nahen Kraftwerke Neurath und Niederaußem stellen mit ihren Kühltürmen Wolkenfabriken für Rommerskirchen eine Landmarke dar, die viele Kilometer weit erkennbar ist. Man mag aus ästhetischen, ökologischen oder wirtschaftlichen Gründen zu den Kraftwerken stehen wie man will, aber unbestritten ist, dass diese markanten Bauwerke unsere Landschaft prägen und wir sie von Ferne und aus dem Flugzeug besser erkennen können als den Kölner Dom, den Düsseldorfer Fernsehturm oder den Rhein. Und kaum ein*e Rommerskirchener*in hat beim Anblick der künstlichen Wolken fern am Horizont wohl noch nicht den Satz gesagt: „Guck mal, da hinten wohnen wir.“ Nicht zuletzt in den sozialen Medien tauchen immer wieder Fotos vom Sonnenuntergang in den wildesten Spektralfarben und Kühltürmen als Ersatzskyline auf. In vielen Fotos dienen die Kraftwerke als zentrale Motive, die untrennbar mit unserer Landschaft verbunden scheinen. Die wenigsten von uns können sich heute tatsächlich vorstellen, dass dieser Anblick schon in wenigen Jahren Geschichte sein wird.
Doch die Kohlekommission hat eine Exitstrategie für Kraftwerke auf Basis fossiler Brennstoffe vorgeschlagen und die Bundesregierung hat dies im Juli 2020 beschlossen (klick). Nachdem ich an dieser Stelle bereits über das damit verbundene Trockenfallen des Gillbachs (klick) und die mögliche Nutzung von nie genutzten Kraftwerksflächen als Industriegebiet (klick) berichtet habe, sollen nun die Restlaufzeit, die Folgen für die Wirtschaft und die Voraussetzungen für eine gesicherte Stromversorgung hinterfragt werden.
1) Wie lange laufen die Kraftwerke noch?
Das ist unterschiedlich und hängt von der Kapazität und dem Zeitpunkt der Inbetriebnahme der einzelnen Kraftwerksblöcke ab. Während das Kraftwerk in Frimmersdorf bereits 2018 vom Netz ging und Block D in Niederaußem im Dezember 2020 abgeschaltet wurde, sind für die anderen Blöcke folgende Restlaufzeiten vereinbart:
Niederaußem Block C | 2021 |
Neurath Block B | 2021 |
Niederaußem Block E und F | 2022 |
Neurath Block A | 2022 |
Neurath Block D und E | 2022 |
Neurath Block C | 2023 |
Niederaußem Block G | 2029 |
Niederaußem Block H | 2033 |
Am längsten werden die großen Kraftwerksblöcke vom Typ BoA (Braunkohleoptimierte Anlage) mit den sehr hohen Kühltürmen in Betrieb sein. Für BoA 1 (Niederaußem) sowie BoA 2 und BoA 3 (beide Neurath) ist das Jahr 2038 als Stilllegungsdatum anvisiert. Schon bei ihrem Bau galten diese Kraftwerke als Dinosaurier, aber weder RWE noch die SPD-Regierung mit Schröder und Clement waren damals Willens, in die Zukunft zu blicken (SPIEGEL Artikel von 2012).
Damit kommen wir auch schon zur nächsten Frage.
2) Wer steht politisch für oder gegen den Ausstieg aus der Braunkohleverstromung?
NGO, Wissenschaft, Verbände und Interessengruppen sowie die jeweilige politische Opposition haben Forderungen und Vorschläge geäußert, die für oder gegen eine Reduzierung des CO2 Ausstoßes, die Zerstörung von Landschaften und Orten sprachen. Aber es ist in der Verantwortung der jeweiligen Bundesregierung, entsprechende Gesetze zu beschließen.
Auch wenn die Grünen das Ende der Verbrennung fossiler Ressourcen ganz eindeutig begrüßen und einige sogar gern noch beschleunigen würden, war es maßgeblich die CDU/SPD Regierung unter Bundeskanzlerin Merkel, die das Gesetz zum Kohleausstieg beschlossen hat (klick).
Große Teile in der SPD tun sich allerdings bis heute eher schwer, von den alten Kraftwerken zu lassen. Das liegt zum einen an der traditionell engen Bindung der Partei zu Gewerkschaften und Industriearbeitern, zum anderen müssen die Sozialdemokraten die eigenen Entscheidungen aus den Jahren der Regierung unter Bundeskanzler Schröder in Frage stellen. Und Selbstkritik war nie die Stärke der ältesten Bundespartei Deutschlands.
LINKE und FDP sind in dieser Frage nicht genau zu verorten. Sie spielen bei den nächsten Bundestagswahlen und bei der Beantwortung der Frage aber auch eine untergeordnete Rolle.
Wie immer völlig irrational läuft die AfD aus dem Ruder, deren Mitglieder nicht nur den menschengemachten Klimawandel leugnen, sondern ausdrücklich an der Kohleverstromung „zur Sicherung nationaler Energieautonomie“ festhalten wollen, Windkraftwerke weitgehend aus dem Landschaftsbild verbannen und zu allem Überfluss neue Kernkraftwerke als „sauberste Energiequelle der Zukunft“ in Deutschland bauen wollen. Nun ja, der AfD fällt der verträumte Blick in die Vergangenheit halt leichter als in die Zukunft.
3) Was ist notwendig, um gleichzeitig den CO2 Ausstoß zu mindern, am Ausstieg aus der Kernenergie festzuhalten und dennoch die Energieversorgung zu sichern?
Zur Beantwortung dieser Frage reicht eine Maßnahme nicht aus. Die schnellen Antworten vorweg: Den Energieverbrauch allgemein reduzieren, Verhaltensweisen ändern und technische Neuentwicklungen nutzen. Darüber hinaus sind viele weitere Maßnahmen notwendig. Denn der größte Nachteil der Windkraft und Solarenergie ist, dass sie nicht immer, nicht überall und nicht besonders gut vorhersagbar, verfügbar sind.
Die lokale Energieerzeugung ist ein ganz wichtiges Thema. Nach Möglichkeit sollten alle geeigneten Gebäudedächer zur Erzeugung von Energie zum Eigenverbrauch genutzt werden. Das gilt insbesondere für die zunehmende Anzahl Elektrofahrzeuge. Wer sein Auto aus der Steckdose mit günstigem Strom aus einem Kohlekraftwerk betankt, verschiebt die Emissionen nur von der Stadt ins Umland. Aber auch die großen Verbraucher im Haushalt (Waschmaschine, Kühlschrank, E-Herd, Heizung, …) sollten idealerweise nur dann betrieben werden, wenn die selbst erzeugte Energie dafür vorhanden oder gespeichert ist. Das erfordert einiges Umdenken im Handeln und technische Innovation – beides übrigens nicht die Stärke der ewig Gestrigen, aber das hatte ich ja schon oben erwähnt.
Gewerbe und Industrie sind in Deutschland anteilig die größten Stromverbraucher. Diese müssen sich umstellen, so dass elektrischer Strom auch dort größtenteils selbst erzeugt wird. Darüber hinaus muss die Produktion so angepasst werden, dass diese bei einem witterungsbedingten Strommangel heruntergefahren werden kann. Ist das einfach? Nein. Kostet das Geld? Ja.
Die sogenannte Grundlast können und werden Wasser- und Biogaskraftwerke liefern. Verschiedene Stromspeicher werden die natürlichen Schwankungen in der Energieerzeugung ausgleichen müssen. Ein europaweiter Energieaustausch ist unverzichtbar, denn irgendwo bläst immer der Wind. Und wenn auch das mal nicht ausreicht, muss zunächst die Kapazität von Gaskraftwerken bereit stehen, um spontan Energielücken zu füllen. Letzteres ist für RWE angeblich noch kein Geschäftsmodell (klick).
Die nachfolgende Tabelle zeigt, dass Deutschland deutlich mehr Strom produziert und auch exportiert, als im Gegenzug importiert wird. Unterm Strich wurden im Jahr 2019 ca. 32 TWh mehr elektrische Energie exportiert als aus den Nachbarländern importiert wurde, Zum Vergleich: Im Jahr 2013 erzeugen 700 Angestellte in Niederaußem aus 20 Millionen Tonnen Braunkohle 27 TWh Strom. Daraus jetzt aber abzuleiten, man könne dann das RWE-Kraftwerk Niederaußem doch umgehend abschalten, ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Kurzschluss. So weit sind wir noch nicht.
Import |
Export | |
Dänemark | 2,7 | 6,1 |
Frankreich | 14,8 | 1,7 |
Niederlande | 2,9 | 9,1 |
Polen | 0,6 | 10,1 |
Schweden | 1,3 | 0,5 |
Österreich | 0,4 | 10,1 |
Belgien | 0,0 | 0,0 |
Schweiz | 3,6 | 13,0 |
Tschechien | 1,7 | 5,6 |
Luxemburg | 0,0 | 4,0 |
Summe | 28,0 | 60,2 |
Datenquelle: Fraunhofer ISE, Daten für 2019, alle Angaben in TWh.
4) Und wenn wir das alles nicht machen?
Um ehrlich zu sein, ist es schon jetzt reichlich spät, um den menschengemachten Klimawandel aufzuhalten. Wir können noch extreme Auswirkungen abmildern (klick). Die regionale Braunkohle im speziellen wäre allerdings auch ohne den vorgezogenen Kohleausstieg spätestens zum Ende der 40er Jahre unseres Jahrhunderts abgegraben. Einen Strukturwandel in unserer Region muss es also so oder so geben. Wenn dieser nicht durch die Politik verantwortet würde, dann durch den Mangel an Ressourcen – nur vielleicht 15-20 Jahre später. Allein die Vorkommen im Tagebau Hambach könnten bei stark reduziertem Verbrauch noch wenige Jahre länger abgebaggert werden. Und weltweit stehen Kohlereserven maximal für die nächsten 270 Jahre bereit (klick).
Gleichzeitig nehmen wir den immer schnelleren Klimawandel wahr: Was bei uns zu milden Wintern führt und bisweilen die Landwirte im Sommer verzweifeln lässt, sorgt anderswo schon heute für Naturkatastrophen und Hungersnöte bis hin zur Vernichtung von Existenzen und Leben. Und diese klimabedingten Auswirkungen nehmen schnell zu. Mit globaler Thermodynamik kann man leider auch nicht gut diskutieren (klick).
In geologischen Zeiträumen ist das selbstverständlich alles unerheblich. Die Erde wird auch in 2 Millionen Jahren noch um die Sonne kreisen und die Evolution wird bis dahin das eine oder andere neue Leben generieren. Wer sich heute allerdings ganz konkret um die Zukunft unserer Nachkommen sorgt, muss folgerichtig heute bereits handeln und nicht erst in der Zukunft.
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